Der Eisbär, die Flüchtlingskinder, ihr Freund Abdul und Sevil
In Oberbayern gibt es einen kleinen verschlafenen Ort namens Altötting. Er ist berühmt für
seine wunderschöne Kapelle. Viele Touristen kommen zu diesem Wallfahrtsort, um sie zu
bewundern.Am Rande des Platzes steht ein gelbes Haus, das die Nummer acht trägt. Dieses Haus
hat eine besondere Bedeutung. Es sieht aus wie eine Burg, vielleicht sogar eine
Weihnachtsburg. Väter, Mütter, Großeltern und Kinder kommen hierher, um sich zu sehen.
Eltern, die sich trennten, haben so die Möglichkeit, den Kontakt zu ihren Kindern aufrecht zu
erhalten. Das Haus verwandelt sich dann in eine Ritterburg, in ein Flugzeug oder in eine
Raumstation und die Umgangsbegleiter werden auch mal spielerisch zu Rittern, Astronauten
oder Passagieren in einem Raumschiff.Am 10. Dezember 2015 saß Oma Britta im Zug. Nur noch ein paar Stunden und sie war
bei ihrem Enkel Abdul. Auch Abdul war schon unterwegs und konnte es kaum erwarten,
seine Oma zu sehen. Heute durfte er mit ihr den Weihnachtsmarkt besuchen. Herr MM wird
natürlich mitgehen. Manchmal dachte Abdul, dass Herr MM selbst ein bisschen wie der
Weihnachtsmann aussieht.Zur gleichen Zeit befanden sich auf dem Weihnachtsmarkt drei Kinder
– Achmet, gerade sieben Jahre alt, seine fünfjährige Schwester Fatima und Raza, ein afghanischer
Junge, war acht Jahre alt. Auf der Flucht haben sie ihre Eltern aus den Augen verloren. Sie wurden mit
dem Bus aus Österreich nach Bayern gebracht. Die Kinder betraten hungrig und durstig den
Weihnachtmarkt. Süßer Duft von Lebkuchen stieg in ihre Nasen. Der Hunger und Durst war
groß. Die Kleinen hatten Geld dabei. Ihre Eltern hatten es ihnen gegeben für den Fall, dass
sie sich auf der Flucht aus den Augen verlieren. Sie ermahnten die Kinder, mit dem Geld
sparsam umzugehen. Die Kinder kauften sich drei Lebkuchen und eine große Flasche Cola, die sie sich teilten.
Noch fiel niemand auf, dass die drei alleine unterwegs waren. Die Kinder bewunderten die
geschmückten Holzbuden und die vielen Spielsachen darin, dabei stiegen ihnen Tränen in
die Augen. In ihrem Land gibt es kaum noch was zum Spielen – alles ist zerstört durch den
Krieg. Zerbrochene Spielzeugautos, unter den Trümmern begrabene Puppen
– das kannten sie nur zu gut.
Abdul stürmte mit seiner Oma an der Hand ins Getümmel des Weihnachtsmarktes. Beide
strahlten wie Honigkuchenpferde. Herr MM kam nur schwer hinterher, so schnell waren
Abdul und Oma. Ein Besuch des Weihnachtsmarktes ist eigentlich nichts Spektakuläres. Für Abdul und
seine Oma war es jedoch etwas Besonderes. Als erstes zog es Abdul zu
den Lämmern. Da gab es auch einen Ziegenbock und Ziegen, die meckerten. Ein kleines Ziegenbaby fand Abdul sehr süß und er machte unzählige Fotos.
Dann entdeckte er den Esel im Nebenstall. Von dem wollte Abdul ebenso Fotos machen, nur
der Esel hatte keine Lust, sich fotografieren zu lassen, und kehrte dem Jungen den Rücken
zu. Auf dem Weg zum Kinderkarussell kaufte die Oma ihm zum Trost eine riesengroße
Portion Zuckerwatte. Weihnachtliche Musik erklang aus den geschmückten Holzbuden.
Abdul sagte zu der Dame am Kinderkarussell: „Hallo!“ „Na, wie bist du denn hierher nach Bayern gekommen“, fragte die Dame erstaunt. „Mit Mama“, sagte Abdul und sein Gesichtsausdruck wurde ein wenig traurig. „Schön, dass die Oma und du euch
wieder gefunden habt.“ Die Dame an der Kasse lächelte und sagte zu Abdul: „Heute hast du zwei Freifahrten.“ Herr MM wartete, bis Abdul im Karussell saß. Die Oma stellte sich an die Seite, um Fotos
von Abdul zu machen. Herr MM fragte die Dame an der Kasse, woher sie Abdul kannte. „Ja, es ist so“, erzählte sie lachend. „Er kam jedes Jahr zu uns ans Kinderkarussell in
Stuttgart. Mit Mama und Oma. Letztes Jahr stand die Oma allein und traurig an meinem
Stand. Sie gab mir ein Foto, auf dem sie und ihr Enkel abgebildet waren. Die Frau bat mich,
falls ich den Jungen sehe, ihm liebe Grüße auszurichten und ihm das Foto zu geben. Zur
gleichen Zeit stand Abdul traurig am Karussell meines Mannes in Burghausen und hielt ein
Bild von seinem Papa und seiner Oma in der Hand. Der Kleine bat seinerseits meinen Mann,
wenn er Papa und Oma sieht, ihnen liebe Grüße auszurichten ... Was ist eigentlich mit dem
Papa? Wie ist er so als Vater?“ In wenigen Worten erzählte Herr MM, dass Abdul einen kranken Papa hat, der aber seinen
Sohn sehr liebt und auch oft zu Besuch kommt. „Oje, ich muss meinen Mann anrufen und ihm berichten, dass sich Oma und Enkel
gefunden haben“, sagte die Dame am Karussell.
Währenddessen standen Achmet, Fatima und Raza am Karussell und schauten
sehnsüchtig auf die lachenden Kinder, die in den Sitzen an ihnen vorbeiwirbelten. Sie hatten
eigentlich noch Hunger, zählten trotzdem ihr Geld und hofften, dass es für eine Fahrt reichte. Abduls Oma sah die Kinder. Sie wunderte sich ein wenig, dass die drei ohne Eltern oder
andere Erwachsene hier waren. Als sie ihre sehnsüchtigen Blicke bemerkte, kaufte die
Oma für die Kinder Fahrtickets. Abdul hatte ja noch eine seiner zwei Freikarten.
Auch Herr MM wunderte sich, dass die drei Kinder alleine unterwegs waren. Vielleicht
waren die Eltern oder ein Verwandter in der Nähe?
Niemand hatte den blinden Passagier im Kinderkarussell bemerkt. Es war ein aus dem
Zoo ausgebüxtes Eisbärenbaby. Ihm wurde es dort zu langweilig. Abdul setzte sich in das
gleiche Karussell-Auto, in dem auch der kleine Eisbär saß. Als Abdul den Eisbären sah,
dachte er: Wow, ein Geschenk von Oma. Aber für ein Kuscheltier bin ich mit sechs Jahren
doch schon zu alt. Weil es von Oma kam, drückte er den kleinen Eisbären trotzdem an sich. „Hey, Junge, du erdrückst mich ja!“, brummte es plötzlich. Im ersten Moment erschrak Abdul, wurde dann jedoch neugierig. „Du bist ja echt! Und wie
kommst du ins Kinderkarussell?“ Hinter ihm fragten die die drei Flüchtlingskinder und ein junges Mädchen, Sevil, wie aus
einem Mund: „Was ist echt?“ „Pst ... das Eisbärenbaby. Aber ihr dürft es nicht verraten!“ Fatima sagte: „Wahrscheinlich aus dem Zoo oder Zirkus ausgebüxt. Es ist nicht schön,
eingesperrt zu sein.“ Die vier schlossen Freundschaft mit dem kleinen Eisbären. Abdul fragte das junge
Mädchen lachend: „Bist du nicht zu alt, um Kinderkarussell zu fahren?“
„Eigentlich schon, aber ich stelle gerne etwas Verrücktes an und dazu gehört auch
Kinderkarussell fahren.“
Plötzlich flog das Karussell wie von Zauberhand durch die Luft und die Kinder fanden sich
in einem riesigen Schlitten wieder. Hinter ihnen saßen Herr MM, die Dame von der Kasse
und die Oma. Der Schlitten wurde von einem Elch gezogen. Bald landeten sie auf einer schneebedeckten Waldwiese, auf der viele kleinere Schlitten
standen. Damit rodelten die vier Kinder und das Mädchen Sevil mit dem Eisbärenbaby auf
dem Schoß abwechselnd die Wiese hinunter. Sogar die Oma rodelte, sie konnte das ziemlich gut. Herrn MM fiel natürlich das
Eisbärenbaby auf, aber bei Abdul und seiner Oma wunderte ihn nichts mehr.
Dann bauten alle zusammen Schneemänner und veranstalteten eine Schneeballschlacht.
Ein Schneeball hatte den kleinen Eisbären Beni getroffen. „Hey, Oma, nicht so stark, das tut
weh“, rief er. Oma erschrak und sagte überrascht: „Du bist ja gar kein Kuscheltier!“ Dann fragte sie die
Kinder, ob sie irgendwo ausgebüxt seien. „Wir nicht, nur der kleine Eisbär Beni. Wir haben unsere Eltern auf der Flucht verloren.“ Herr MM sagte: „Das habe ich mir schon fast gedacht, dass ihr syrische Flüchtlingskinder
seid.“ „Nur meine Schwester Fatima und ich“, antwortete Achmet, „Raza ist
aus Afghanistan.“ „Woher könnt ihr so gut Deutsch?“ „Wir sind in Syrien in eine Deutschschule gegangen.“ Herr MM schaute auf die Uhr. „Es ist viel Zeit vergangen und wir wollen noch die
Weihnachtsburg besuchen. Dort gibt es dann heißen Kakao und Pfef
ferkuchen.“
Das Kinderkarussell landete wieder wie von Zauberhand auf seinem ursprünglichen Platz
auf dem Weihnachtsmarkt. Alle stiegen aus. Herr MM klopfte an der Weihnachtsburgtür und eine Fee öffnete. Die durchfrorenen Gäste
ruhten sich an Tischen aus, die mit Tannenzweigen und verstreuten, aus Stroh, Silber-
und Goldpapier gebastelten, Sternen bedeckt waren. Abdul fragte die Fee: „Bastelt ihr die alle selbst?“ „Viele basteln wir selbst, aber wir bekommen auch einige Sterne zugeschickt
– von Behindertenheimen, Altenheimen und Krankenhäusern. Da sind oft sehr schöne Sterne
dabei.“ Zu dem Eisbärenbaby sagte die Fee: „Dir müssen wir wohl den Kakao in der Flasche geben.
Kannst du die Flasche schon allein halten?“ „Natürlich, so klein bin ich auch nicht mehr. Ich bin schon über ein Jahr alt!“ Und
doch verschüttete Beni ein wenig von dem Getränk. Alle lachten.
Beni war beleidigt. „Lacht ihr mich aus?“ „Nein, kleiner Freund, es sieht bloß so lustig aus
– Schokoladenflecken auf deinem weißen Fell.“ Oma wischte die Flecken mit einer Serviette weg.
Beni erinnerte sich daran, wie der Wärter ihm im Zoo die Flasche gegeben hat.
Noch während sie den Kakao tranken und Pfefferkuchen aßen, kam auf einmal der
Weihnachtsmann herein. Er gab jedem Kind, auch Sevil und der Oma ein kleines Geschenk,
sogar der kleine Eisbär Beni bekam etwas. Merkwürdig war nur, dass Herr MM und die Dame von der Kinderkarussell
- Kasse verschwunden waren. Nachdem der Weihnachtsmann sie verließ, kamen auch die beiden Erwachsenen wieder
zurück. Herr MM schaute erneut auf seine Uhr. „Jetzt wird es höchste Zeit. Wir wollen ja
noch was vom Weihnachtsmarkt sehen.“ „Und Oma kauft uns Spielzeug!“, freute sich Abdul.
Er suchte sich einen Springball, ein Kindertelefon und ein Spielzeugauto aus. Die Oma
kaufte auch Spielsachen für die Flüchtlingskinder und einen Ball für Beni. Sevil bekam
Kerzen und für alle gab es noch Lebkuchen, wobei sie etwas zögerte, als sie Beni ansah.
Beni verstand und brummte: „So klein bin auch wieder nicht, ich kann schon Lebkuchen essen.“ Plötzlich entdeckte Beni einen kleinen Eimer mit Honig, der unwiderstehlich herrlich duftete.
Der Kleine schnappte sich den Eimer und schlürfte genüsslich
den Honig daraus.
Herr MM machte sich Gedanken über die Flüchtlingskinder. Er musste sie mitnehmen und
dem Jugendamt übergeben. Vielleicht suchten die Eltern die Kinder schon. Er fragte sich, ob
die Eltern überhaupt die Flucht überlebt hatten. Der kleine Eisbär musste auch zurück. Herr
MM wusste nicht, aus welchem Zoo Beni ausgebüxt war. Er musste wohl die Polizei anrufen.
Im Moment hatte er noch keine Lust dazu – die vier Kinder und die Oma hatten so viel
Freude. Plötzlich lachte Herr MM laut auf; ihm kam der Gedanke, dass Abdul ihn mit
Sicherheit bitten würde, die Kinder und den Eisbären mitnehmen zu dürfen. Kaum hatte er es
zu Ende gedacht, da kam auch schon: „Herr MM, darf ich Sie was fragen?“ „Natürlich,
Abdul“, antwortete Herr MM. „Ich habe da eine Idee. Kann Oma meine Freunde mitnehmen? Dann wäre Oma nicht
traurig und nicht so alleine. Wenn meine Freunde bei ihr sind, denkt sie, ich wäre bei ihr.“ „Und was ist mit dem Eisbären?“, fragte Herr MM. „Ich würde ihn gerne selbst behalten, aber Mama wird es nicht erlauben.“ „Dann sollte Beni mit mir kommen“, meinte Herr MM. „Meine Chefin, Frau RS, würde sich
freuen. Dennoch fragte er Oma halb im Scherz, wie es wäre, wenn sie auch Beni mitnehmen
würde. Die Antwort war zu erwarten gewesen: „Aber wie soll
Beni in den Zug kommen und dann sich auch noch darin verstecken? Die anderen Reisenden würden Angst bekommen
und Beni einfangen ...“
„Was würde ich dir nicht erlauben, Abdul?“, ertönte unerwartet die Stimme von Abduls Mama
hinter ihnen. „Ein Eisbärenbaby mit nach Hause nehmen“, antwortete der Junge vorsichtig. „Hoffentlich hat dir Oma kein richtiges Eisbärenbaby gekauft. Was eigentlich unmöglich
wäre – die Oma hat doch Angst vor Tieren ... Wo ist denn das Eisbärenbaby?“, fragte die
Mama. Da hörten sie einen Mann schimpfen: „Wer bezahlt mir meinen Honig?“ Eine Frau fragte: „Zu wem gehört das Eisbärenbaby überhaupt?“ Ein anderer Mann sagte: „Wahrscheinlich zu den Kindern.“ Alle sahen Beni an, der gerade genüsslich den letzten Honigtropfen vom Boden des
Eimers leckte. Er wollte ihn schon loslassen, aber es ging nicht
– seine Schnauze blieb im Behälter stecken. „Das kommt vom vielen Naschen!“, sagten Abdul und seine Oma wie aus einem Mund.
Sie versuchten, den Eimer irgendwie von Benis Schnauze loszubekommen. „Hey, ihr tut mir weh!“, brummte es undeutlich aus dem Eimer. Inzwischen wurde der Eisbär auch von den anderen Besuchern auf dem Weihnachtmarkt
bemerkt. Manche hielten es für eine Zirkusvorstellung, wie das Eisbärenbaby da mit dem
Eimer auf der Schnauze herumtanzte.
Herr OZ schaute aus dem Fenster und wunderte sich über den Tumult auf dem
Weihnachtsmarkt. Er machte sich Sorgen, weil Herr MM, Abdul und die Oma noch nicht
zurück waren. Auch Abduls Mama war noch nicht da. Sonst kam sie immer pünktlich, um
Abdul abzuholen. Jetzt war es schon eine halbe Stunde drüber. Ehe er weiterdenken konnte,
rief seine Chefin ihm zu, er solle abschließen und auf den Weihnachtsmarkt mitkommen, dort
sei eine Zirkusvorstellung mit einem kleinen Eisbären. „Auf geht‘s!“, sagte er zu den Kindern, die sich noch im Haus aufhielten. „Gehen wir auch auf
den Weihnachtsmarkt.“ Die Kinder freuten sich. „Ja! Wir wollen uns die Zirkusvorstellung ansehen!“
Jetzt versuchte Abduls Mama sanft den Eimer von
Beni Schnauze zu lösen. Der war allerdings wie festklebt. „Heißes Wasser“, sagte sie. „Ich brauche heißes Wasser!“ „Wollt ihr mich verbrennen?“, brummte Beni erschrocken aus dem Eimer. „So heiß doch nicht, du Dummkopf“, sagte Abdul.
Inzwischen hat man auch im Zoo festgestellt, dass Beni verschwunden war. Der Eisbären
Papa fragte die Eisbärenmama Brummi: „Hast du denn nichts bemerkt?“ „Eigentlich schon. Aber so sehr ich ihn auch vermisse, wünsche ich ihm ein besseres
Leben als das hier, hinter Gittern.“ „Jetzt ist er klein und süß. Er wird aber irgendwann groß und ist dann als Haustier nicht
mehr geeignet“, antwortete der Eisbären Papa. Er überlegte, wo Beni nur sein könnte. „Es ist Winter und in jeder Stadt gibt es Weihnachtsmärkte“, sagte die Eisbärenmama. „Solange er seine Schnauze nicht in den Glühwein steckt ...“, brummte der Eisbären Papa
und schlief bald ein ...
Es war schon fast dunkel, als Beni mit Hilfe von Abduls Mama und dem warmen Wasser
endlich aus dem Honigeimer befreit wurde. So wie es jedoch aussah, hatte Oma den Zug
verpasst. Abdul fragte: „Herr MM, dürfen meine Freunde Achmet, Fatima, Raza und meine Oma in
unser Haus mitkommen?“ „Und der Eisbär auch?“, wollte Herr OZ wissen. „Eigentlich schon“, meinte Abdul,
„er ist auch mein Freund.“ „Wie weit weg wohnt denn Oma?“, fragte Beni. „Schon ziemlich weit weg
– in Stuttgart“, antwortete Abdul. „Wie kommen wir dahin, Abdul?“ „Mit dem Zug natürlich.“ Plötzlich musste Abdul laut lachen, obwohl seine Augen
glitzerten. Sevil sah die Tränen in Abduls Augen. Sie umarmte ihn. „Na, mein kleiner Freund, der
Tag war schön und wir haben so viele Abenteuer erlebt.“ „Der Abschied von
meiner Oma tut immer so weh“, murmelte der Junge leise. Er stellte
sich vor, wie Oma mit den drei Kindern und Beni dreimal umstieg. Oma hatte doch viel zu viel
Angst, aus dem Zug ein- und auszusteigen. „Abdul, die Oma darf die Kinder nicht so einfach mitnehmen und den Eisbären auch nicht“,
sagte Frau RS. „Die Kinder werden bestimmt schon von den Eltern gesucht. Aber wir können
das Jugendamt fragen, ob die Kinder bei Oma so lange bleiben dürften, bis die
Eltern gefunden werden.“ „Dann müssen wir noch herausfinden, aus welchem Zoo Beni ist“, sagte Herr MM. „Beni, Beni, du kleiner Ausreißer, wo bist du denn?“, hörte Beni auf einmal den Zoo-Wärter
rufen. „Deine Eltern vermissen dich!“ So schön und aufregend das alles hier auch war, Beni hatte doch Sehnsucht nach seinen
Eltern. Er brummte den Wärter an und erzählte ihm von seinem abenteuerreichen Tag. Dann
verabschiedete er sich von seinen neuen Freunden. „Ihr müsst mich im Zoo besuchen
kommen.“ „Auf jeden Fall!“, sagten alle wie aus einem Mund. „Nächstes Mal fahre ich mit Oma Zug“,
murmelte der kleine Eisbär und schlief auf dem Arm des Wärters ein. Frau RM hatte erreichen können, dass Oma mit den Flüchtlingskindern heute in der
Herberge bleiben durften. Sonst hätten die Kinder ins Heim müssen. Das wäre nicht schön.
Ausnahmsweise durfte auch Abdul bleiben – er war zu müde, um nach Hause zu gehen. Er
war glücklich, dass er die Oma noch etwas länger bei sich hatte. Herr MM sagte zu Abdul scherzhaft: „Aber ein Löwenbaby habt ihr zwei nicht versteckt?“
Am nächsten Tag, nach einem Aufruf im Radio, hatten sich die Eltern von Achmet und
Fatima gemeldet. Sie wohnten in einem Flüchtlingsheim in Zuffenhausen und hatten die
Kinder schon gesucht. Nur bei Raza hat sich niemand gemeldet. Alle dachten, hoffentlich ist
Raza mit seinen acht Jahren nicht alleine unterwegs gewesen. Frau GL war eine sehr kompetente Sozialarbeiterin vom Jugendamt. Die Eltern waren
einverstanden, dass die Oma Achmet und Fatima zu ihnen brachte und sie erlaubte Oma,
auch Raza mitzunehmen. Alle begleiteten Oma und die Kinder zum Zug. Die Oma und Abdul mussten sich jetzt
verabschieden. „Bis bald, mein Kleiner, ich komme wieder.“ „Bis bald, Oma! Bringe meine Freunde mit.“ In Abduls Augen standen Tränen. Auch Oma
konnte ihre Tränen nicht zurückhalten. Alle winkten so lange, bis der Zug nicht mehr zu sehen war.
„Abdul, du wärst gerne mitgefahren?“, fragte Frau GL. „Ja“, sagte er und weinte.
Wie traurig das doch immer ist, wenn Eltern sich trennen,
dachte die Sozialarbeiterin. Kinder leiden, wenn sie ihre Väter oder Mütter, die geliebten Großeltern, Tanten und Onkels
nicht mehr sehen. Am schlimmsten fand Frau GL, wenn ihre Kollegen grundlos die Kinder in
Obhut nahmen. Sie selbst musste noch nie ein Kind den Eltern wegnehmen
– Gott sei Dank. „Abdul, weißt du was? In den Ferien darfst du für eine Woche zu Oma und Papa fahren. „Wenn Mama
Nein sagt, was dann?“, fragte das Kind besorgt. „Das überlasse mir, Abdul. Ich werde es mit
deiner Mama klären.“ „Juhu, dann darf ich mit Opa wieder Auto fahren“, fröhlich hüpfte Abdul auf und ab. „Papa
kauft mir ein Eis und wir gehen nach Feuerbach Döner essen. Sevil, und mit dir besuchen wir
unseren Freund Beni – noch vor Weihnachten!“
Diese Geschichte
hat Fortsetzungen: „Das
Osterhasenkind Oskar und seine Freunde“ im
Osterspecial 2018 „Tanzende
Schneeflocken" Autoren-Adventskalender
2018
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Die schreibende Mamatanteoma aus Stuttgart
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liebt neben dem Erzählen auch Malen, Mosaik aus Papier und Häkeln. Aber vor allem: Soziale Gerechtigkeit
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Der dreifachen Mutter und Großmutter ist Familie besonders wichtig.
Ihre Neffen und Nichten, die teilweise im Ausland leben, sind für sie wie eigene Kinder.
Neben Kurzgeschichten schreibt die Autorin auch Romane, Erzählungen, Gedichte und Märchen.
Sie
freut sich immer über Besuche auf ihrer Facebook-Seite:
Tintenfeder
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Mehr über die Autorin: Vita
& Werke
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Britta Khokhar erfährt auch gerne Deine Meinung zur
Geschichte: In der Gruppe vom Autoren-Adventskalender bei
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